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Im AbiLab  des Forums Rathenau wollen Mitarbeiterin Heike Heinemann und Leiterin Nadine Slomma (von links) Schülern über Experimente einen  außerschulischen Zugang zur Chemie vermitteln.  Forums-Chef Thies Schröder (rechts) und TransferWerkstatt-Leiterin Kerstin Schmidt sind bereits begeistert.

Strukturwandel

Im AbiLab  des Forums Rathenau wollen Mitarbeiterin Heike Heinemann und Leiterin Nadine Slomma (von links) Schülern über Experimente einen  außerschulischen Zugang zur Chemie vermitteln.  Forums-Chef Thies Schröder (rechts) und TransferWerkstatt-Leiterin Kerstin Schmidt sind bereits begeistert. Foto: Andreas Stedtler

Neues Image für CO2

Von Julius Lukas

Kohlenstoffdioxid wird vor allem als Problem gesehen. Das Forum Rathenau will einen Perspektivwechsel. Das Ziel: die klimaneutrale Carbonwirtschaft in Mitteldeutschland.

Um zu erklären, was das Forum Rathenau ist, lohnt es sich, etwas auszuholen und beim Namensgeber zu beginnen. Walther Rathenaus bekannteste Rolle ist sicher die des Politikers. 1922 wurde der Berliner zum Reichsaußenminister ernannt – und im selben Jahr noch von Rechtsradikalen ermordet. Rathenau war jedoch auch Schriftsteller, Intellektueller und – vor allem – Industrieller. Sein Vater gründete die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, kurz AEG, die heute nur noch als Markenname überlebt hat und bei der  auch Walther Rathenau einst in führender Position mitarbeitete.  Auf seine Anregung hin entstand ab 1893 in Bitterfeld eine Elektrolyse-Fabrik zur Herstellung von Chlor und Natron, die heute als  Grundstein der Mitteldeutschen Chemieregion gilt. 

Strom- statt Kohletransport

Nicht nur wegen der Fabrik empfand Thies Schröder den  ehemaligen Außenminister als geeigneten Namenspatron. „Er war ein kritischer Geist, der bereit war, Paradigmen infrage zu stellen  und Perspektiven zu wechseln – das wollen wir auch“, sagt der Projektleiter des Forums Rathenau. Als Beispiel nennt der 59-Jährige das bei Gräfenhainichen gelegene Kohlekraftwerk Zschornewitz. Auch das wurde auf Bestreben von Rathenau gebaut und entsprang einer neuen Idee. Zuvor wurde Elektrizität in Kraftwerken nah bei den Verbrauchern produziert, weswegen die Kohle weite Wege gefahren  werden musste. „Seine Ingenieure sagten nun zu Rathenau: Strom transportiert sich leichter als Kohle.“ Und so wurde das Kraftwerk Zschornewitz, das heute ein Industriedenkmal ist, neben dem Tagebau Golpa-Jeßnitz errichtet. „Das war eine neue Herangehensweise, zu der Rathenau den Mut hatte“, meint Schröder.

Kurz gesagt: Walther Rathenau war ein Unternehmer, der Bestehendes mit Blick auf die Zukunft   hinterfragte und neue Prozesse etablierte. Das will auch das Forum. Und zwar genau dort, wo auch Rathenau schon wirkte: im mitteldeutschen Revier. Die Arbeit des Forums wird maßgeblich aus den  Bundesmitteln für den Kohleausstieg finanziert. Ziel  ist es,  die Chemie- und Energiewirtschaft vor Ort, die mehr als ein Jahrhundert   maßgeblich auf  fossilen Grundstoffen wie Braunkohle oder Erdgas aufbaute, klimaneutral umzugestalten.  „Wir wollen dabei helfen, ins Handeln zu kommen – denn an den Umbrüchen wird kein Weg vorbeiführen“, sagt  Schröder.

Studie: Wunsch nach politischer Konstanz

Eines der wichtigsten aktuellen Projekte des Forums Rathenau ist die Studie: „Kohlenstoffbasierte Industrien in Mitteldeutschland auf dem Weg in neue Märkte“, die vom Wuppertal Institut sowie der Unternehmensberatung Arvid Friebe aus Halle erstellt wird. „Ziel ist eine Arbeitsgrundlage, die den industriellen Ist-Zustand aufschlüsselt“, erklärt Kerstin Schmidt, die die Studie koordiniert. „Daran orientiert wollen wir Empfehlungen an die Politik formulieren und unsere eigene Unterstützungsarbeit ausrichten.“ Die Studie soll im Februar präsentiert werden. Bereits jetzt habe sich aber gezeigt,  dass die Unternehmen sich  auf das Ende des fossilen Zeitalters aktiv einstellen. „Was allerdings immer wieder bremst, sind die wechselnden politischen Vorgaben“, so Schmidt. „Da wünschen sich die Firmen mehr Konstanz.“

Einer der wichtigsten ersten Schritte sei dabei ein Perspektivwechsel, meint Kerstin Schmidt. Sie ist die Leiterin der TransferWerkstatt, die beim Forum Rathenau Gründungen sowie unternehmerische Initiativen fördern soll. „Derzeit wird CO2 noch als etwas sehr Negatives gesehen, was bestenfalls verschwinden soll“, sagt die 59-Jährige. Kohlenstoffdioxid brauche deswegen in gewisser Weise ein neues Image. „Der Blickwinkel auf das Molekül muss sich ändern“, sagt Schmidt.  So sollte man CO2 auch als  Rohstoff ansehen, mit dem neue Wertschöpfung entstehen könne. Eine solche Perspektive sei ohnehin angebrachter, meint auch Thies Schröder, denn: „Wir werden auch im Zeitalter nach Öl, Kohle und Gas noch mit Kohlenstoff umgehen müssen, weil unsere Welt zu einem nicht unerheblichen Teil daraus besteht – selbst der Mensch zu 18 Prozent“. Deswegen sei der bessere Weg, sich mit Möglichkeiten der Nutzung von Kohlenstoff auseinanderzusetzen. Gerade im von der Chemie und Petrochemie geprägten mitteldeutschen Raum.


Wie  diese  neuen Wege und neuen Blickwinkel aussehen können,  wird beim Forum Rathenau auf drei Ebenen erprobt – den  Werkstätten. Die ExperimentierWerkstatt besteht derzeit aus einem Labor, dem sogenannten ABiLab. „Dort können Kinder und Jugendliche experimentieren, tüfteln sowie Chemie und Naturwissenschaften erleben“, erklärt Thies Schröder. Über dieses außerschulische Angebot soll der Nachwuchs an die für die Chemieregion wichtigen Wissensfelder herangeführt werden. Künftig sollen auch noch weitere dieser Lernorte folgen – unter anderem eine Ausstellung im Kraftwerk Zschornewitz.

1915

begann der Bau  des Kraftwerks Zschornewitz bei Gräfenhainichen. In drei Jahren entstand das leistungsstärkste Kraftwerk der Welt. Heute ist es ein Industriedenkmal.

Wichtigste Veranstaltung der  DenkWerkstatt ist der CarbonCycleCultureClub. Übersetzung: Kohlenstoffkreislauf Kulturclub. Abkürzung: C 4.  Dahinter verbirgt sich ein  Veranstaltungsformat, bei dem Experten erst miteinander  und anschließend mit dem Publikum über Wege aus der Klimakrise diskutieren. „Damit wollen wir  wichtige Zukunftsfragen in die Bevölkerung tragen, Wissen vermitteln und Debatten auslösen“, erklärt Schröder. Der letzte C 4 beschäftigte sich zum Beispiel mit der Bauindustrie, wobei sich die Experten – unter anderem die Direktorin des Bauhauses in Dessau, Barbara Steiner – einig darin waren, dass der Flächenverbrauch stark reduziert, regenerative Materialien mehr eingesetzt  und bestehende Immobilien besser genutzt werden müssen. Bei den kommenden Veranstaltungen wird es um Kohlenstoffdioxid als Rohstoff gehen sowie die Ernährungsbranche.

Synthesegas und Pyrolyse

Die dritte Werkstatt ist die TransferWerkstatt, die von Kerstin Schmidt geleitet wird. „Hier sollen neue Geschäftsideen entstehen und unterstützt werden, allerdings nicht nur bei Start-ups, sondern auch bei etablierten Unternehmen“, erklärt die promovierte Chemikerin.  „Unser Ansatz ist dabei nicht nur, dass wir sagen: Kommt mit euren Ideen und wir führen sie bestenfalls zur Marktreife.“ Es solle auch an  im Chemierevier vorhandene Infrastruktur angedockt  und Ideen für die schon produzierten Stoffe entwickelt werden. Kohlenstoff soll genutzt und bestenfalls in einen Kreislauf integriert  und nicht als CO2 in die Luft geblasen werden. Thies Schröder spricht in diesem Zusammenhang von Synthesegas, das zu Kraftstoffen verarbeitet werden könnte oder experimentelleren Verfahren wie der Plasmapyrolyse. 


Allerdings: Solche Entwicklungen brauchen Zeit. Das weiß man auch beim Forum Rathenau. „Unser Horizont sind eher 20 bis 30 Jahre, in denen sich so etwas entwickeln kann“, sagt Kerstin Schmidt. In politische Legislaturperioden passe diese Zeitrechnung zwar nicht. Allerdings hatte ja Walther Rathenau bereits gezeigt, dass mit den richtigen Weichenstellungen eine Industrie geschaffen werden kann, die viele Jahrzehnte besteht.

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