Zukunftsland Sachsen-Anhalt
2025
Thi Tam Oanh Nguyen (rechts) und Ti Thuy Linh Mai, Foto: Andreas Stedtler
Fachkräftegewinnung
In väterliche Fußstapfen: Benjamin John (l.) übernimmt zum Jahreswechsel den Sanitärbetrieb seines Vaters Jens John in Teutschenthal. Als neuer Chef will der 34-Jährige einiges umkrempeln. Handgeschriebene Auftragszettel etwa will er durch eine digitale Variante ersetzen. Foto: Andreas Stedtler
Aus Vietnam an die Elbe
Von Robert Gruhne
Sachsen-Anhalt geht in Fernost auf Azubi-Suche. Wie das gelingt, zeigt das Hotel Schloss Tangermünde.
Früher habe sie „so einen Stapel Bewerbungen“ gehabt, sagt Melanie Busse und hebt die Hand 20 Zentimeter von der weißen Tischdecke. Sie führt das Schlosshotel in Tangermünde, hoch oben über der Elbe. Die Auslastung des Vier-Sterne-Hauses ist gut, erst recht seit der ZDF-Serie „Mit Herz und Holly“, die in dem Altmarkstädtchen spielt. Aber Auszubildende zu finden, fällt hier auf dem Land immer schwerer.
700 Auszubildende
Das Hotel setzt deshalb auf junge Menschen aus Fernost, wo es deutlich mehr Geburten gibt als in Deutschland. Aktuell kommen sechs von 13 Auszubildenden im Schloss Tangermünde aus Vietnam. Eine Vietnamesin hat ihre Ausbildung bereits beendet und arbeitet jetzt fest im Hotel.
Für Inhaberin Busse ist das Projekt Viethoga, das der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Sachsen-Anhalt organisiert, eine echte Erfolgsgeschichte. „Ich kann nichts Negatives sagen“, meint die Chefin, „die Auszubildenden sind unglaublich freundlich, ehrgeizig und wissbegierig.“
Seit sieben Jahren wirbt der Verband für seine Mitglieder Auszubildende aus Vietnam an. Insgesamt fast 700 Personen wurden so bereits ins Bundesland vermittelt. Nach Angaben des Dehoga schließen 92 Prozent der Vietnamesen die Ausbildung erfolgreich ab und 76 Prozent bleiben anschließend in Sachsen-Anhalt.
Die Unternehmen müssten aber auch bereit sein, etwas dafür zu tun, meint Busse. Die Auszubildenden hätten oft gerade erst die Schule abgeschlossen und lebten jetzt Tausende Kilometer weit weg von zu Hause in einem anderen Kulturkreis. „Es ist eine große Verantwortung“, unterstreicht Busse, „sie brauchen uns nicht nur als Ausbildungsstätte, sondern auch als Familie.“
Das Hotel Schloss Tangermünde etwa hat eine eigene Wohngemeinschaft für die Auszubildenden. Zudem achte man darauf, dass die Azubis ihre Kultur auch hier leben könnten. Jeder Viethoga-Betrieb muss außerdem garantieren, dass die Vietnamesen jährlich drei Wochen am Stück in die Heimat reisen können.
"Sie brauchen uns auch als Familie."
In Tangermünde lernen die Azubis aus Vietnam im Restaurant. „Wir fangen im Frühstücksservice an“, sagt Chefin Melanie Busse. Morgens geht es vor allem darum, das Buffet herzurichten. Die sprachlichen Anforderungen sind da noch gering. Guten Morgen. Möchten Sie Kaffee oder Tee? Auf Wiedersehen.
Die größte Herausforderung für alle Seiten ist laut Busse die Sprache: „Die Auszubildenden kommen hierher und sprechen nur ganz wenig Deutsch. Am Anfang kommuniziert man mit Händen und Füßen.“ Voraussetzung für die Teilnahme an Viethoga ist das Niveau B1, das im Schnitt nach ein bis anderthalb Jahren erreicht ist. Auch in Deutschland setzen die Azubis den Unterricht fort. Im Arbeitsalltag ist die Sprache aber noch einmal schwieriger als auf dem Papier.
Das erlebt Daniela Komander täglich. Sie arbeitet im Restaurant und nimmt die vietnamesischen Auszubildenden gern an die Hand: „Ich denke mir oft, wie würde es mir gehen, wenn ich in Vietnam wäre?“ Manchmal, wenn es schnell gehen müsse, könne die Kommunikation schwierig werden. Aber dann würden auch ältere Auszubildende ausnahmsweise mal auf Vietnamesisch übersetzen, berichtet Komander.
Offen für andere Branchen
Sprache ist Hürde
Nach etwa einem halben Jahr werden die Azubis immer sattelfester in der Sprache. „Dann können wir sie auf die Gäste ,loslassen’“, sagt Busse. Noch nie habe sie es erlebt, dass Gäste ablehnend reagiert hätten. „Es ist nicht so, dass wir in Ostdeutschland keine Willkommenskultur haben“, meint sie und fährt fort: „Wir im Osten hatten ja immer mit Vietnamesen zu tun.“ In Zukunft wird es in der Hotellerie nur mit Zuwanderung gehen, findet die Geschäftsführerin: „Es gibt nicht genug Menschen, die nachrücken. Das wird auch die Technologie nicht richten.“
Im Handwerk und der Industrie genauso: Weil der Nachwuchs auch hier knapp wird, hat sich das Projekt Viethoga für weitere Ausbildungsberufe geöffnet. Für die ersten vietnamesischen Auszubildenden im Handwerk fehlen nur noch die Visa. Sachsen-Anhalt unterstützt das Projekt bis 2027 mit jährlich 75.000 Euro. Das Land will das Projekt auch für Berufe öffnen, die ein Sprachniveau von B2 erfordern.