Zukunftsland Sachsen-Anhalt
2024
start-ups
Haus der klugen Köpfe
Von Max Hunger
Krebsmedikamente, Autoakkus, Hightech-Geräte: Im Gründerzentrum in Halle tüfteln über ein dutzend Firmen unter einem Dach an Zukunftstechnologien. Was sie hierher gelockt hat.
Udo Reichmann platziert einen münzgroßen Plexiglasbehälter in der Mitte des Tisches. Der Batterie-Prototyp ist kaum größer als ein Zwei-Euro-Stück, und doch ruhen große Hoffnungen auf ihm. Wenn alles nach Plan laufe, könne die Technologie künftig Flugzeuge, Autos und Drohnen antreiben, sagt der Geschäftsführer der Norcsi GmbH. Kleiner und leistungsfähiger als aktuelle Akkus soll die Erfindung sein. „Es wären alle Probleme der heutigen Akku-Generation gelöst. Das hätte revolutionären Charakter“, sagt Reichmann. Entwickelt haben Reichmann und seine heute 14 Kollegen die Batterie der Zukunft in ihren Büros und Laboren hier im sogenannten Innovation Hub auf dem Weinberg Campus in Halle. Norcsi gehört zu über einem Dutzend Start-ups und Firmen, die hier im Gründerzentrum an neuen Technologien tüfteln. Was hat sie hierher geführt? Um das herauszufinden, lohnt ein Blick hinter die Türen der Labore und Büros.
Das Gründerzentrum liegt im Westen der Saalestadt im Technologiepark Weinberg Campus. Auf dem Gelände verschmelzen Universität und Firmen, Forschung und Wirtschaft zu einer Keimzelle technologischer Innovation. Zwischen Laborgebäuden und Studentenwohnheimen schmiegt sich das Start-up-Haus mit seinem gläsernen Vorbau an die Hauptstraße. Vom lichtdurchfluteten Foyer aus führt ein Labyrinth aus Gängen ins Innere.
Besonderer Standort
Hinter einer der Türen befindet sich die Batteriewerkstatt von Norcsi. Udo Reichmann bahnt sich seinen Weg vorbei an Kabeln und metallenen Geräten. Seit drei Jahren arbeiten er und seine Kollegen hier an einem neuen Batterie-Typ. Status derzeit: funktionsfähig, aber noch nicht serienreif. Die Unternehmer aus Sachsen hat Fördergeld nach Halle gelockt – aber auch die Arbeitsbedingungen. „Für uns ist es eine ideale Umgebung“, sagt der Geschäftsführer. Die Universität nebenan sorge für gut ausgebildetes Personal und helfe mit eigener Forschung. Davon profitieren auch andere – denn mitunter entstehen schon im Hörsaal neue Geschäftsideen.
Einige Gänge vom Batterielabor entfernt lehnt sich Christian Georgieff in seinem Schreibtischstuhl zurück. Der 31-Jährige kam einst als Student aus Leipzig nach Halle. Im Uni-Gebäude, kaum einen Steinwurf von seinem heutigen Büro entfernt, studierte er damals Biotechnologie. Sein Kommilitone gründete 2015 schließlich das Unternehmen Okmed Biotech. Ein Jahr später zog das Duo im Innovation Hub ein, Georgieff ist heute stellvertretender Geschäftsführer. „Der Standort hat Besonderheiten, die man nicht an jeder Ecke findet“, sagt er. Okmed Biotech hat sich auf die Herstellung von Medikamenten auf Proteinbasis spezialisiert – etwa zur Behandlung von Krebs. „Wir wollen mithilfe von Bakterien Proteine herstellen, die als Arzneimittel genutzt werden können.“ Ziel sei es, langfristig eine eigene Produktion aufzubauen. „Wir haben ein hohes Ziel, aber es läuft gut.“
Hilfe für Gründer
Das Technologie- und Gründerzentrum am Weinberg Campus bietet Firmengründern Unterstützung bei Anträgen, vermietet Büros und Labore und hilft unerfahrenen Unternehmern mit einem Mentorenprogramm. Zum Technologiepark Weinberg Campus gehören insgesamt neun Gebäude. Am gesamten Campus sind rund 100 Firmen ansässig.
"Die Leute hier sind gut und sie kommen aus der Region."
Christian Reinsch, Biologe
Foto: MAX HUNGER
Firmen früherer Studenten
Auf dem Campus hat die Firma Labore und ein Büro gemietet. Aber nicht nur die Infrastruktur sei ein Pluspunkt, sagt Georgieff. „Es ist sehr hilfreich, dass hier alles so nah beieinander ist.“ Büros, Labore, die Uni, Kollegen. Es sei auch der Austausch mit Gleichgesinnten, der helfe. „Auf dem Weg zur Mensa trifft man manchmal den halben Campus.“
Unter den knapp 20 Firmen im Gründerzentrum sticht derweil ein Name besonders heraus: BioNTech. Seit 2019 hat das Mainzer Biotechnologieunternehmen eine Tochterfirma in Halle. Und spätestens seit der Corona-Pandemie ist BioNTech durch die Entwicklung eines Impfstoffs weltweit bekannt. Dazu haben auch einige Hallenser beigetragen.
Christian Reinsch, Biologe und sogenannter Vice President Technologie Profiling, empfängt in der Kaffeeküche. Er und ein Team aus 32 Mitarbeitern erforschen und erproben im Gründerzentrum sogenannte Delivery-Systeme etwa für Impfstoffe – also die Technologie, die die Moleküle in die Zelle transportiert. „Unsere Expertise sind Nanopartikel“, sagt Reinsch.
Der 44-Jährige arbeitet bereits seit 1999 im Technologiepark an der Saale. Für ihn ist der kurze Draht zur Universität der entscheidende Faktor für die Standortwahl. „Die akademische Ausbildung am Uni-Standort Halle ist eine sehr gute.“ Doch gute Leute sind eben heiß begehrt, oft wechseln sie daher schnell zur Konkurrenz. In Halle sei das anders, sagt Reinsch. „Die Leute hier sind gut und sie kommen aus der Region.“ Und der blieben sie meist treu.
Zeit für eine Kaffeepause. Im Café im Erdgeschoss nippt an diesem Vormittag Ulrich Haupts an einer Tasse. Der 59-Jährige ist Geschäftsführer des Biotechnologieunternehmens Navigo Proteins. Auch Navigo wurde vor vielen Jahren von einem ehemaligen Studenten aus Halle gegründet. Heute entwickeln und produzieren hier 80 Mitarbeiter Medikamente – unter anderem für Augen- und Krebstherapie – auf Proteinbasis. Haupts stammt nicht aus Sachsen-Anhalt, pendelt regelmäßig aus Nordrhein-Westfahlen nach Halle. Wie blickt er auf den Standort, die Gründerszene? „Das Gebäude hier hat sich sehr gut entwickelt“, sagt der Biochemiker. Und natürlich sei Halle eine schöne Stadt, dazu die renommierte Uni. Im Kölner Umland sei Sachsen-Anhalt als innovativer Technologiestandort allerdings noch nicht bekannt, sagt Haupts. Noch nicht, fügt er an.
Das Gründerhaus, ja der Standort Halle habe seit der Wende eine erstaunliche Entwicklung erlebt, sagt Jan Heise. Er muss es wissen: Vor rund 30 Jahren zog der gebürtige Flensburger als einer der ersten Westdeutschen nach Halle. Der 52-Jährige führt hier heute das Unternehmen Dyeagnostics. Neben dem Forschen an Proteinen für die Medizin entwickelt und produziert die Firma auch Geräte für die Pharmaforschung. Dazu habe er zuletzt ein Unternehmen aus dem niedersächsischen Göttingen aufgekauft, sagt Heise. Der Umsatz habe sich seitdem verdoppelt. „Wir haben sehr viele Aufträge.“
Was zog ihn nach Halle? Warum ins Gründerzentrum? Er schätze vor allem die Gemeinschaft im Haus, sagt Heise. Wenn er mal nicht weiterwisse, rufe er einfach Kollegen an. „Telefonjoker“, sagt er. Oder man trifft sich gleich auf einen Kaffee, die Wege sind ja kurz. „Dazu muss man sich kennen.“ Und das Kennenlernen geht schnell hier im Gründerzentrum. Der nächste kluge Kopf sitzt schließlich oft nur eine Tür entfernt.