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Umbruch

Ulrike Kalteich leitet die Geschäftsstelle der Kulturstiftung Hohenmölsen (links). Gemeinsam mit Renate Bader und Siegfried Schumann steht sie am Mondsee in den Wandelgängen vor der Stele, die an das Dorf der beiden erinnert. Fotos: Andreas Stedtler

Impulse für die Zeit nach der Kohle

Von Hans-Ulrich Köhler

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Die Wandelgänge am Mondsee. In ihnen sind Stelen platziert, die an 15 weggebaggerte Dörfer der Region erinnern.

FOTO: SVH

Radweg durchs Kohlerevier

Oft tragen Studierende vor, wozu sie ihre Abschlussarbeiten schreiben. Schüler erklären, wie sie örtliche Umweltprobleme erforschen. Experten berichten über neue Erkenntnisse zur Flutung von Tagebauen. Historiker referieren zur Aufarbeitung der Bergbaugeschichte. Kommunalpolitiker analysieren, wie sie den demografischen Wandel bewältigen. Und man lernt auch schon mal, warum „Kurzumtriebsplantagen“ gut für schnelle Rekultivierung sind. Vollendet wurde ein Buchprojekt über „Bergbau und Umsiedlungen im mitteldeutschen Braunkohlenrevier“.

Durch das Zeitz-Weißenfelser Kohlenrevier führt ein Radweg, entwickelt unter Federführung der Stiftung. Er geleitet geschichtsinteressierte Radler über 19 Kilometer vom Zeitzer Herrmannschacht über das Bergbaumuseum Deuben zum Naherholungsgebiet Mondsee bei Hohenmölsen. Hier erinnern seit 2015 auf einem Areal 15 gut drei Meter hohe rostbraune Stahlstelen an jedes einzelne abgerissene Dorf. Eine in der Erde eingelassene Steinplatte zeigt davor den Umriss des jeweiligen Ortes. Von Stele zu Stele gelangen Besucher durch eine Art Labyrinth aus hohen Hecken. Wandelgänge hat man diesen Ort genannt.

Die Kulturstiftung Hohenmölsen hält Bergbaugeschichte lebendig und organisiert jährlich eine Sommerakademie.

Brikett? Wenn in Zeitz Schüler durch die ehemalige Brikettfabrik Herrmannschacht geführt werden, staunen die jungen Menschen. Damit haben unsere Großeltern ihre Wohnungen warm gemacht? Im Kachelofen zum Beispiel. In was? Auch darüber wird im Industriedenkmal aufgeklärt, das der 1994 gegründete Verein „Mitteldeutscher Umwelt- und Technikpark“ betreibt. Im Uhrenturm können die jungen Besucher in einer Ausstellung Öfen bestaunen. Manche Gäste machen auf Nostalgie und schwärmen von der heimeligen Wärme ihres Kachelofen: So einen hatten wir auch!  

Briketts werden hier schon seit 1959 nicht mehr gepresst. Nun naht auch das Ende der Kohleverstromung. Die Politik hat für 2035 den Ausstieg beschlossen. Das Wort Strukturwandel ist in aller Munde. Aus dem Kohleland soll Neuland werden. Erste Konturen zeichnen sich ab.

Mehr als ein Dutzend Dörfer wurden hier im Süden Sachsen-Anhalts wegen der Braunkohle weggebaggert. Gaumnitz war 1931 das erste. Sabine Meinhardts Dorf Großgrimma war 1995 dran, sechs Ortsteile, knapp 900 Menschen. Die heute 70-Jährige war damals Bürgermeisterin des Ortes. In der Debatte um das Wie und Warum und Wann der Umsiedlung kam damals auch die Idee auf, den Nachgeborenen zu überliefern, wie Kohle den Alltag in der Region mehr als 200 Jahre lang geprägt hat. In seiner letzten Sitzung, am 30. Juni 1998, beschloss der Gemeinderat von Großgrimma einstimmig die Errichtung der Kulturstiftung Hohenmölsen. Sabine Meinhardt wurde die erste Chefin. Sie blieb das bis zu ihrer Pensionierung. Das erste Stiftungskapital von 2,5 Millionen DM gab der Tagebaubetreiber Mibrag.

Hohenmölsens Bürgermeister Andy Haugk ist heute der Direktor der Stiftung. „Wir fördern mit ihr die Denkmalpflege und den Heimatgedanken sowie die Aufarbeitung der Bergbaugeschichte des Zeitz-Weißenfelser Braunkohlenreviers“, sagt er. Dabei gehe es, so Haugk, nicht darum, Vergangenheit nostalgisch zu verklären, sondern mit vielen Partnern der Region Impulse für die Gestaltung der Zukunft zu geben. 

Ulrike Kalteich koordiniert als Geschäftsstellenleiterin in Hohenmölsen die Arbeit der Stiftung, zunehmend mit dem Blick auf Herausforderungen des Strukturwandels. Der Blick zurück wird nicht vergessen, auch weil die Menschen hier sehr verbunden sind mit der Kohle. Eine von ihr konzipierte Ausstellung zur Stadtentwicklung und zum Wandel der Region zog seit 2022 hunderte Besucher an. Ulrike Kalteich sieht die Stiftung auch als ein Bindeglied zwischen Kommunen, Betrieben, Wissenschaftseinrichtungen und Historikern. Bürgermeister Haugk will die Stiftung auch als Motivator profilieren. „Wir wollen den nachfolgenden Generationen Mut machen, Wandlung und Veränderung in ihrem Leben als Herausforderung und Chance zu begreifen.“ 

Gefragte Sommerakademie

Eine sehr informative, gut strukturierte Internetseite mit viel Nutzerservice macht erlebbar, was die Kulturstiftung zusammen mit anderen Akteuren leistet, die ihre Angebote unter dem Label „Recarbo Erlebnisregion“ vereint haben. Eins davon macht dort besonders neugierig: die Sommerakademie. In der alljährlichen Sommerakademie sieht Ulrike Kalteich den inhaltlichen Kern der Stiftungsarbeit. „Hier wird nach vorn gedacht.“ Und das seit 20 Jahren schon. Die Akademie versteht sich als ein Ort des Gedankenaustausches. Manches davon lässt sich zügig in die Tat umsetzen, bei anderen Ideen dauert es oder sie erweisen sich als nicht tragfähig. „Wir wollen eine Begegnungsstätte sein, wo man sich Anregungen für die eigene wissenschaftliche, wirtschaftliche, kommunalpolitische Arbeit holt und seine Erfahrungen weitergibt“, sagt sie. Teilnehmerinnen und Teilnehmer könnten sich mit einem Thema bewerben, sie kommen von Unis, Hochschulen, Unternehmen, Schulen oder Verwaltungen. 

Digitalisierte Lebenswege

In den Stahl eingravierte Daten erinnern an den Platz der Dörfer in der Geschichte: „Domsen, 1299 - 1998, 173 Einwohner“. Hier haben Renate Bader und Siegfried Schumann gewohnt. „In unserem Ort“, so erinnert sich Renate Bader, „war keiner, der sich stark aufgeregt hat“, dass die Bagger kommen. In anderen Orten sei das mitunter anders gewesen. Mit ihren Familien zogen beide, so wie viele andere Dorfbewohner, in neue Häuser in Hohenmölsen. Am sogenannten Südhang entstand dort ein Wohngebiet für die Umsiedler.

Die Stelen in den Wandelgängen hat die Kulturstiftung nun in diesem Jahr mit einer anrührenden Form der Erinnerung verbunden. Wer wissen will, wie das damals war, als Renate Bader und Siegfried Schumann ihre Heimatdörfer verlassen mussten, kann das künftig über einen QR-Code an den Stelen erfahren. 

Die ersten Zeitzeugenberichte sind schon jetzt auf der Internetseite der Stiftung abrufbar. Domsen, Bösau, Deumen und Mödnitz sind u.a. vertreten. „Stück für Stück werden alle 15 Stelen mit Lebensgeschichten aus dem Braunkohlenrevier verknüpft“, sagt Ulrike Kalteich. 

Das Ortsschild als Erinnerung

Die Geschichten der beiden Domsener gehören zu den ersten, die digitalisiert wurden. Fast neun Minuten lang berichtet Schumann im Video vom Leben mit der Kohle. „Hinter meinem Gartenzaun fing der Tagebau an.“ Fast alle im Dorf hätten irgendwie mit der Kohle zu tun, „die haben gutes Geld verdient, denen ging es zu allen Zeiten gut.“ Und wenn es Probleme im Ort gab, habe immer der Bergbau geholfen. „Ohne Bergbau hätten wir nie einen Konsum im Dorf gehabt“, sagt er und ergänzt schmunzelnd: „Das Ortsschild von Domsen habe ich damals mitgenommen.“ Es hängt noch heute in seiner Garage in Hohenmölsen.

Mehr Information zu Stiftung und Region: www.recarbo.de

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"Wir begreifen den Wandel als eine große Chance."

 Andy Haugk, Bürgermeister Hohenmölsen 

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