Zukunftsland Sachsen-Anhalt
2024
Innovative Gründungen
Thomas Lehmann, Leiter Erneuerbare Energien bei der Mibrag, steht in der Photovoltaikanlage Peres II. Foto: Andreas Stedtler
Zartes Pflänzchen Start-up
Von Hagen Eichler
In Sachsen-Anhalt entstehen nur selten Firmen mit großem Wachstumspotenzial. Staatliches Risikokapital und Anschub aus den Unis sollen das ändern.
Für die Marketingprofis der Landesregierung sind sie nichts weniger als „perfekt“, die Bedingungen in Sachsen-Anhalt für das Gründen eines wachstumsorientierten Unternehmens. Niedrige Kosten für Lebenshaltung und Arbeitsräume, gute Finanzierungsquellen, Unterstützung durch wissenschaftliche Einrichtungen – das und noch mehr zählt die Investitions- und Marketinggesellschaft (IMG) auf. Von einem tatsächlichen Gründerparadies ist Sachsen-Anhalt allerdings einiges entfernt. Das zeigt der aktuelle Ländervergleich des unabhängigen Start-up-Verbands. Nach dessen Zählung wurden in Sachsen-Anhalt seit 2019 lediglich 90 Start-ups ins Leben gerufen. Damit belegt das Land – im Verhältnis zur Bevölkerungszahl – in Deutschland den letzten Platz.
Jenny Müller, Inhaberin eines selbst gegründeten Unternehmens in Beuna (Saalekreis), kann dafür Gründe nennen. Zum einen fehle es an Vorbildern, die jungen Menschen Lust auf das Wagnis Unternehmungsgründung machen könnten, bedauert sie. „Start-ups entstehen vor allem dadurch, dass man andere Start-ups sieht“, sagt sie. „Je mehr man sich mit anderen austauschen kann, desto geringer sind die Hürden. In Sachsen-Anhalt gibt es das viel zu wenig.“
Unis könnten Anstoß geben
Die Unternehmerin sieht dafür vor allem die Universitäten in der Verantwortung. Sie findet: Niemand dürfe die Hochschule verlassen, ohne dass er einmal über die Möglichkeit einer Unternehmensgründung informiert wurde. Müller wünscht sich dafür ein Studienmodul, für das auch Punkte vergeben werden.
Mit ihrer Firma Frischemanufaktur produziert sie Wasser, das durch Zugabe von Obst oder Kräutern aromatisiert und ohne Zuckerzusatz in Flaschen gefüllt wird. Unter dem Markennamen „Lieblingswasser“ wird es vor allem in Ost- und Norddeutschland vertrieben, etwa in den Geschmacksrichtungen Ananas-Salbei oder Brombeer-Zitronengras. Für die Entwicklung des Produkts brauchte die Firma Laborräume. Auf dem Weinberg-Campus in Halle – das Areal ist als Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft gedacht –, habe es damals nicht geklappt, erinnert sich Müller. „Geholfen hat uns am Ende das Studentenwerk Halle.“ Dort experimentierte das Team zunächst mit Obstsalaten, der ersten und letztlich erfolglosen Geschäftsidee. In der Großküche wurde dann auch das Fruchtwasser entwickelt. Die damalige Studentenwerks-Geschäftsführerin und heutige sachsen-anhaltische Infrastrukturministerin Lydia Hüskens (FDP) hatte die Türen geöffnet.
Staat subventioniert Zinssatz
Gründerkredite vergibt die Investitionsbank (IB) Sachsen-Anhalt. Das Darlehen „Impuls“ mit einem subventionierten Zinssatz von 2,95 Prozent ist für die ersten fünf Jahre eines Unternehmens oder für Freiberufler vorgesehen. „Finanziert werden zum Beispiel Baumaßnahmen, Maschinen, Betriebs- und Geschäftsausstattung“, erklärt eine Sprecherin. Auch Qualifizierungsangebote habe man im Angebot. Wie viele Start-ups in den vergangenen fünf Jahren von diesen Angeboten profitierten, kann die Investitionsbank nicht sagen. Daten gebe es nicht, da man zwischen Start-ups und anderen Gründungen – etwa einem neuen Friseursalon – nicht unterscheide. Der Start-up-Verband sieht in den Universitäten Halle und Magdeburg die besten Ankerpunkte zum Aufbau innovativer Unternehmen. „Das größte Potenzial, die Start-up-Kultur voranzutreiben, liegt rund um die Hochschulen“, sagt Jannis Gilde. Das Land könne helfen, indem es kreative Köpfe miteinander vernetze. Von der Idee bis zur Finanzierung funktioniert ganz viel über persönliche Kontakte“, sagt Gilde.
Einhörner gesucht
Start-ups sind jene Fabelwesen der Wirtschaft, auf die jedes Land hofft: junge Unternehmen mit außerordentlich hohen Wachstumschancen. Die erfolgreichsten tragen auch einen Begriff aus der Märchenwelt: Einhorn. Gemeint sind Unternehmen, die mit einer Milliarde Euro oder mehr bewertet werden. In Deutschland trifft das auf etwa drei Dutzend Unternehmen zu, darunter die 2020 gegründeten Lieferdienste Flink oder Gorillas. Zu den erfolgreichen Start-ups aus Sachsen-Anhalt zählt etwa der Wittenberger Batteriehersteller Tesvolt. Ein Gradmesser für den Erfolg eines Standorts ist das Einwerben von Risikokapital. Dabei führt mit großem Abstand Berlin, das 47 Prozent der Investitionen im ersten Halbjahr 2023 anzog. Sachsen-Anhalt wird wegen der geringen Summe nicht eigens ausgewiesen. HEI
Raum zum Erproben gesucht
Orte zum Experimentieren sind nach Müllers Erfahrung für die Erprobungsphase entscheidend. Sie lobt die sogenannten „Maker Spaces“, die die Technische Universität (TU) München zur Verfügung stellt – Hightech-Werkstätten mit 3-D-Druckern, Laserschneidern und sonstigen Maschinen. Für 49 Euro im Monat können Interessierte alles nutzen, die TU verspricht Unterstützung durch ein Team. Studenten unterschiedlicher Fachrichtungen können ihre Ideen austauschen. Mit Erfolg: Neben Berlin ist München die Stadt mit den meisten Start-up-Gründungen.
In Halle versucht die Martin-Luther-Universität, Studierende für den Sprung in die Selbstständigkeit zu motivieren. Unter dem Motto #waswagen gab es etwa Mitte November eine „Gründungswoche“ mit sechs Veranstaltungen. Unter anderem informierte ein Experte vom „Transfer- und Gründerservice“ der Uni über die Regeln für geistiges Eigentum. Mit einem Stipendienprogramm will die Uni zudem speziell Frauen beim Weg in die Selbstständigkeit unterstützen. Drei Monate lang gibt es bis zu 3.000 Euro und ein Projektbudget.
In Sachsen-Anhalts Schulen scheint Unternehmertum keine große Rolle zu spielen. Beim bundesweiten Schulwettbewerb „Jugend gründet“ liegt das Land - auch im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße - weit abgeschlagen. Das Bildungsministerium des Landes will nun einen Beauftragten einsetzen, der für das Programm wirbt.
Eines ist für den erfolgreichen Aufbau eines Unternehmens unerlässlich: Geld. Die Fruchtwasser-Unternehmerin Müller hat zwei verschiedene Quellen genutzt. 350.000 Euro kamen von der Investitions- und Beteiligungsgesellschaft (IBG) Sachsen-Anhalt – das Landesunternehmen soll mit Steuergeld vielversprechende Gründungen anschieben. In etwa gleicher Höhe kam Geld von privaten Investoren, im Gründer-Sprech „Business Angel“ genannt. Letztere seien aber in Sachsen-Anhalt nur schwer zu finden, stellt Müller fest. „Der Zugang zu solchen privaten Geldgebern ist in Sachsen-Anhalt schwieriger, man trifft sie in München viel häufiger als in Halle. Durch die Geschichte gibt es hier kaum Unternehmer.“