Zukunftsland Sachsen-Anhalt
2025
Chemiker, vielfacher Firmengründer und zuletzt Direktor eines Max-Planck-Instituts in Potsdam: Peter Seeberger ist Ideengeber und Chef des CTC. Foto: Andreas Stedtler
Chemie im Wandel
Chemiker, vielfacher Firmengründer und zuletzt Direktor eines Max-Planck-Instituts in Potsdam: Peter Seeberger ist Ideengeber und Chef des CTC. Foto: Andreas Stedtler
Die Antwort liegt in der Luft
In Merseburg entsteht das Großforschungszentrum CTC. Dessen Direktor erklärt, wie es gelingen kann, eine Öl- und Gas abhängige Branche auf ökologisch umzukrempeln.
Einen Mann auf den Mond bringen, das menschliche Genom entschlüsseln. Die Wissenschaft stellte sich immer wieder Schwerstaufgaben – und erfüllte sie. In der Chemie fehlten Großziele bisher, findet Peter Seeberger. Der Direktor des Center for the Transformation of Chemistry scheut im Gespräch mit Robert Briest aber nicht, solche für sein Großforschungszentrum zu stecken. Er erklärt, was das CTC in den nächsten Jahrzehnten an seinen Standorten Delitzsch und Merseburg leisten soll und welche Rolle Recycling und Luft dabei spielen werden.
Sie sagten bei der Gründung des CTC, dass derzeit in Europa knapp 20.000 Chemikalien mit über Jahrzehnten optimierten Verfahren produziert werden – allerdings basierend auf fossilen Ausgangsstoffen …
Peter Seeberger: Es sind sogar 30.000 Stoffe. Unser Ziel ist es, möglichst schnell möglichst viele dieser Stoffe auf Kreislaufwirtschaft umzustellen. Das wird dadurch etwas erleichtert, dass die Zahl der Grundstoffe, aus denen die Chemikalien produziert werden, begrenzt ist.
Dennoch ist die Chemie ein breites Feld von der Raffinerie bis hin zur Medikamentenherstellung. Wo wollen Sie anfangen?
Wir sind ja ein Großforschungszentrum und können an vielen Punkten ansetzen. Durch Automatisierung und Standardisierung kann man Forschungsprozesse beschleunigen. Wir werden an allen Ecken arbeiten, wo sich nachwachsende Rohstoffe und Rezyklate einsetzen lassen. Wir fokussieren uns zunächst aber auf zwei Moonshot-Projekte.
Auf zwei was?
Die USA hatten einst das Ziel, Menschen auf den Mond zu bringen. Als ich in den 1990er Jahren Doktorand in den USA war, gab es in der Forschung das große Ziel, das menschliche Genom komplett zu sequenzieren. Das war damals noch Wahnsinn, weil man nur einige Basenpaare entschlüsseln konnte. Elf Jahre später war es aber wirklich komplett gelungen. In der Chemie hat man sich solche großen Ziele bisher noch nicht gesetzt.
Was sollen denn die großen Ziele des CTC, die Äquivalente zum Mann-auf-dem-Mond, sein?
Das eine ist das vollständig recyclebare Auto. Denn ein Auto ist ein sehr komplexes Produkt. Es besteht aus Metall und aus vielen Kunststoffen, die miteinander verklebt sind sowie den Reifen und Batterien, in denen ja auch viel Chemie steckt. Heute wird hauptsächlich das Metall recycelt. Große Hersteller wie BMW haben sich aber zum Ziel gesetzt, dass das bis 2040 für das gesamte Auto möglich ist. Das bedeutet, dass man die Wiederverwertbarkeit von Anfang an mitdenken muss.
Beim Design und Material?
Ja. Wir haben heute zum Beispiel im Auto Oberflächen, die aus sieben verschiedenen Polymeren bestehen. Die sind schön anzusehen, aber wahnsinnig schwer zu trennen und zu recyceln. Ähnliches gilt auch für Windräder.
Wie wollen Sie als Forschungsinstitut nun vorgehen, um recycelbare Autos zu erreichen?
Wir haben schon erste Pilotprojekte losgetreten. Einer unserer Gruppenleiter arbeitet an recyclebaren Polymeren und hat dazu schon eine Ausgründung, ein eigenes Start-up, das sich in Leipzig ansiedelt. Das zeigt: Durchbrüche in der Forschung führen zu Arbeitsplätzen. Im Januar kommt eine junge Forscherin aus Magdeburg zu uns, die sich mit Prozessen auf Basis von Lignocellulose beschäftigt, also auf Holzbasis. Holz besteht aus Zellulose, die bisher etwa zu Papier verarbeitet wird, und aus Lignin, das heute oft verbrannt wird. Aus dem kann man aber viel mehr machen. Die Bioraffinerie von UPM will es etwa zu Füllstoffen verarbeiten. Wir schließen in unserer Forschung also auch an das an, was hier am Standort Leuna schon entsteht. Wir machen aber noch mehr. Batterien sind beispielsweise ein Thema. In Autobatterien wird heute oft Phosphorsäure aus Chile und China eingesetzt. Daher müssen wir uns Gedanken machen, wie wir diese recyceln können.
Center for the Transformation of Chemistry
Deutschland steigt aus der Kohle aus. Um den Strukturwandel in den Revieren zu begleiten, hat der Bund beschlossen, zwei Großforschungszentren einzurichten. Der Chemiker Peter Seeberger erhielt mit seiner Idee vom Center for the Transformation of Chemistry den Zuschlag. An noch zu bauenden Standorten in Delitzsch und Merseburg sollen bis zu 1.000 Naturwissenschaftler, Ingenieure und Informatiker künftig Wege hin zu einer grünen Chemie finden.
"Für viele Chemiker ist das eine Horrorvorstellung. Aber am Ende sichert es Arbeitsplätze. Wir bauen ja auch Autos nicht mehr per Hand zusammen…"
Peter Seeberger ist Ideengeber und Chef des CTC
Was soll das zweite „Moonshot-Projekt“ werden?
Das voll automatisierte Labor. Heute erledigen in der Forschung hochausgebildete Leute noch händische Arbeit. Da ist es klar, dass die Forschung in Billiglohnländer abwandert. Wenn wir sie zurückholen wollen, brauchen wir automatisierte Labore. Ich kann mir langfristig gar vorstellen, dass Pharmazeutika remote in Fabriken hergestellt werden, in denen man dann keine Fachleute mehr vor Ort benötigt.
Ihre Vision ist also die Wissenschaftlerin, die nur noch vor dem Computer sitzt, während Roboter die Reagenzgläser zusammenkippen?
Für viele Chemiker ist das eine Horrorvorstellung. Aber am Ende sichert es Arbeitsplätze. Wir bauen ja auch Autos nicht mehr per Hand zusammen.
Das große Schlagwort der Branche lautet Defossilisierung, also Wegkommen von fossilen Rohstoffen als Lieferant für benötigten Kohlenstoff. Nehmen Sie uns mit ins Jahr 2050: Wie weit ist die Chemie auf dem Weg da?
Es gibt in Leuna ein schönes Bild, das den Standort 1916 zeigt. Damals war der Ausgangsstoff Kohle. Heute sind es Erdgas und -öl. 2050 werden die Energieträger hoffentlich Wind und Sonne sein. Die Frage ist, wo kommt dann der Kohlenstoff her. Zu Teilen aus Rezyklaten und nachwachsenden Rohstoffen, aber das wird nicht reichen, weil der Mengenbedarf so groß ist.
Was ist dann die Lösung?
Meine Idealvorstellung ist, dass man das CO2 aus der Luft holt und daraus den Kohlenstoff gewinnt. Dafür sind zwei Fragen zu klären – wie kriegen wir es aus der Luft, denn das ist energieaufwendig, und wie können wir daraus Chemikalien herstellen. Es gibt in Leuna schon Firmen, die in diese Richtung stoßen, wie etwa C1, die auf Basis von CO2 Synthesegas und dann Methanol herstellen wollen. Das zeigt, wie gut der Standort hier in der Region für das CTC geeignet ist – und umgekehrt. Wir sind eine Forschungseinrichtung, die eng mit den Chemieunternehmen zusammenarbeiten wird, denn sie allein können die notwendige langfristige Forschung nicht stemmen.