Zukunftsland Sachsen-Anhalt
2025
Tourismus
Mirko Gutjahr, Direktor der Museen der Stiftung Luthergedenkstätten in Eisleben und Mansfeld. Er steht hier in der Bauernkriegs-Ausstellung „Gerechtigkeyt 1525“ in Luthers Sterbehaus in Eisleben, deren Kurator er ist. Foto: Andreas Stedtler
Mit Müntzer in die Zukunft
Von Grit Pommer, Joel Stubert und Jörg Müller
Es ist einer jener Momente, in denen man zu spüren meint, wie der Atem der Geschichte herüberweht aus einer längst versunkenen Zeit: Nur wenige Tage haben Archäologen im September auf einem unscheinbaren Feld an der Waldkante südöstlich von Allstedt gegraben. Und plötzlich lag er frei – der perfekt erhaltene Grundriss der Mallerbacher Kapelle.
Lange war sie verschollen gewesen. Dass jetzt intensiv danach gesucht wurde, hat mit dem 500-jährigen Bauernkriegsgedenken zu tun. In der Nacht zu Karfreitag 1524 war ein Trupp aufgebrachter Leute aus Allstedt zu der kleinen Kapelle gezogen, hatte sie ausgeräumt und angezündet. Der Sturm auf Mallerbach gilt als die erste gewaltsame Aktion im Rahmen des Bauernkrieges.
Am Horizont ist von hier aus das Bad Frankenhäuser Bauernkriegs-Panorama zu erkennen. Das große, runde Monumentalmuseum steht exakt am Ort der entscheidenden Schlacht, in der das Fürstenheer im Mai 1525 den Aufstand der Bauern blutig niedermetzelte. Eine ganz besondere Blickachse, zu der Sachsen-Anhalts Landesarchäologe Harald Meller feststellt: „Hier ist beides miteinander verbunden – der Anfang und das Ende des Bauernkriegs.“
Geschichte als Touri-Magnet
Geht es nach den Allstedtern, dann soll die spannende Geschichte vom Kampf der Bauern gegen die Fürsten und von Thomas Müntzer, der ab 1523 mit seinen aufrührerischen Predigten Tausende zu den Gottesdiensten nach Allstedt lockte, spätestens ab dem kommenden Jahr wieder Tausende anziehen – diesmal aber als Touristen, die an authentischen Orten deutsche Geschichte nachempfinden wollen.
Der Kupferspuren-Radweg, den der Landkreis Mansfeld-Südharz mit Millionen aus dem Strukturwandel-Topf fördern will, soll südlich von Allstedt einen Abstecher zum Fundort der Mallerbacher Kapelle machen. Wann und was genau es dort zu sehen geben wird, ist indes noch offen. Der Grundriss der Kapelle wurde im September wieder mit schützender Erde überdeckt. Im nächsten Jahr graben hier erst mal weiter die Archäologen.
In Allstedt selbst nehmen dagegen weitere Projekte allmählich Gestalt an. Im Ratskeller soll eine Multimedia-Ausstellung an den Allstedter Bund erinnern, den Müntzer hier mit Bürgern schmiedete. Für die Gestaltung einer solchen Schau und für die Reparatur des Müntzer-Weges hinauf zum Schloss hat das Landesverwaltungsamt insgesamt 90.000 Euro an Fördermitteln in Aussicht gestellt.
Multimedia im Schloss
Auf dem Schloss arbeitet derweil die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt an einer neuen Ausstellung zu Thomas Müntzer. In der Hofstube, wo der radikale Reformator aller Wahrscheinlichkeit nach seine Fürstenpredigt hielt, soll Besuchern ein Multimedia-Erlebnis geboten werden. Immersiv – das heißt, die Besucher sollen über Projektionen an den Wänden geradezu eintauchen in Müntzers Zeit, Leben und Wirken. Die Eröffnung ist im Juli nächsten Jahres geplant.
In Müntzers Geburtsort Stolberg wird unterdessen für 1,07 Millionen Euro aus dem Strukturwandelfonds das Museum „Alte Münze“ saniert und mit zwei neuen Ausstellungen ausgestattet. Die Schau „Vom Erz bis zur Münze“ soll die wachsende Bedeutung des Geldes und dessen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen darstellen. Bei der zweiten Ausstellung steht das 500-jährige Bauernkriegsgedenken im Zentrum. Auf moderne Art soll gezeigt werden, wie Müntzer in Stolberg gelebt hat und wie er in die heutige Zeit hineinwirkt.
"Wir wollen unterhaltsam Geschichte vermitteln."
Mirko Gutjahr, Museumsleiter
Mitmachen in Mansfeld
Es geht dabei um ein Gebiet, das als Mitteldeutsches Revier – in Sachsen-Anhalt mit den Landkreisen Anhalt-Bitterfeld, Mansfeld-Südharz, BurgenlaLebendig werden soll der Bauernkrieg auch in Eisleben und Mansfeld. Ausstellungen in Luthers Sterbehaus in Eisleben und Luthers Elternhaus in Mansfeld sollen nachhaltige Wirkung entfalten. Die zweiteilige Mitmachausstellung an beiden Standorten, in der Besucher in historische Rollen schlüpfen und sich mit eigenen Entscheidungen über ein Spielfeld bewegen, bildet den Auftakt für die Landesausstellung „Gerechtigkeyt 1525“, mit der in diesem und dem nächsten Jahr an mehreren Standorten in Sachsen-Anhalt an das Ende des Deutschen Bauernkriegs und den 500. Todestag Thomas Müntzers erinnert wird. Mit den Ausstellungen in den Luthermuseen ist Mansfeld-Südharz bundesweit als erste Region in die Gedenkjahre gestartet. Was historisch durchaus naheliegend ist. Schließlich habe Müntzer 1524 in Allstedt seine Fürstenpredigt gehalten, sagt Thomas T. Müller, Vorstand und Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt.
Die Ausstellung in Eisleben und Mansfeld richte sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche, so Müller. „Wir wenden uns Fragen zu, die gerade sie bewegen: Was hat sich für die Menschen in den vergangenen 500 Jahren konkret verändert und welche Rolle spielte damals beziehungsweise spielt heute die Suche nach Gerechtigkeit?“
Mirko Gutjahr, Museumsleiter in Eisleben und Mansfeld und Kurator der Ausstellung, sagt, es gehe um Themen, „die uns bis heute bewegen“: Gütergerechtigkeit, Mitbestimmung, Konfliktbewältigung, Ressourcenknappheit. „Wir wollen unterhaltsam Geschichte vermitteln.“ Aber auch außerhalb des Bauernkrieges versucht der Landkreis, seinem Tourismus mit Hilfe von Strukturwandel-Geld Schwung zu verleihen. Ein Beispiel dafür ist auf der Königspfalz in Tilleda zu finden. Dort soll Geschichte von vor über 1.000 Jahren zum Leben erweckt werden und das Freilichtmuseum Königspfalz Tilleda als ein sehr authentischer Ort der frühen Reichsgeschichte attraktiver werden. Bis spätestens Dezember 2026 soll die Königshalle, 30 Meter lang, über zehn Meter breit und über acht Meter hoch, auf der Königspfalz Tilleda entstehen. Der Neubau soll deutlich mehr Touristen an den Ort locken, gelingen soll das etwa durch virtuelle Technik.
Besucher im Eislebener Museum können sich an Mitmachstationen in die Zeit vor 500 Jahren hinein versetzen und Meinungen äußern. Fotos: Andreas Stedtler
Hologramme bei Königs
Kaiser Otto der II. (955-983) hatte im Jahr 972 das sechs Hektar große Areal seiner byzantinischen Frau Theophanu geschenkt. Mit der Rekonstruktion der frühmittelalterlichen Königshalle erwartet die Region deutlich mehr Touristen.
„Der Neubau wird im Inneren mit virtueller Technik, wie Hologrammen, das Publikum begeistern“, sagt der Beauftragte für den Strukturwandel im Landkreis Mansfeld-Südharz, Michael Schumann. „Die Gesamtkosten liegen bei 2,557 Millionen Euro, wobei 2,302 Millionen Euro aus dem Fonds für Strukturwandel im Rahmen des Kohleausstiegs kommen.“
Zudem fördert das Land Sachsen-Anhalt mit 127.500 Euro die Hälfte des Eigenteils der Stadt Kelbra als Eigentümerin des Museums. „Für die weitere touristische Entwicklung ist der Bau der Königshalle ein wichtiges Projekt. Den Besuchern wird etwas Neues geboten. Die Förderung der touristischen Infrastruktur ist auch Strukturwandel.“ Bis spätestens Dezember 2026 soll die Königshalle fertig sein – und damit ein weiteres Zeugnis der reichhaltigen Geschichte der Region Mansfeld-Südharz.